Sie war eine halbe Ewigkeit geflogen, nur fort... fort, fort, fort! Fort von den Pflichten, fort von dem Schmerz, den die Verschmähung und der Abschied ihr verursacht hatten. Sie wollte sich frei fühlen, dachte, sie würde es erreichen, in dem sie Meilen über die offene See glitt, mit ausgestreckten Flügeln, die den Wind und den Auftrieb nutzten, um nicht abzusacken, oder gar zu stürzen. Yriesa hatte gelernt, wie man am besten flog. Eine Erinnerung keimte in ihr auf, die ihr einen weiteren Stich versetzte. Er, der auf ihrem Rücken saß, und sie aufmunterte, den Satz von der Klippe zu tun, so wie es die jungen Mauersegler immer taten. Sie war unheimlich feige gewesen und hatte die Augen fest verschlossen – war aber gesprungen. Und es war in einem Desaster geendet. Sie war gefallen und zusammen mit ihm mehr als drei Meter tief ins Meer versunken, bis sie es geschafft hatte, das Wirrwarr aus sechs Gliedmaßen zu ordnen und schließlich wieder durch die Wasseroberfläche zu stoßen. Sie hatte immer davon geträumt, dass das Fliegen ihr Freiheit gab, doch so war es im Endeffekt nicht. Traurig senkte sie den Kopf und starrte auf das offene Meer unter sich.
Das sanften Wogen hatte sie auf ihrem ganzen Flug, die ganzen siebzig Meilen, die sie bisher zurückgelegt hatte, nie beachtet. Nun, nachdem sie so lange ohne Pause geflogen war, hatte das Hin und Her eine beruhigende, beinah einschläfernde Wirkung auf sie, und sie konnte sich kaum gegen die hypnotische Fähigkeit der Wellen wehren.
Bleiernde Müdigkeit durchzog erst ihre panzerartigen, knöchernen Augenlider, sodass sie immer mal wieder die Augen schloss, nur um sie beinah panisch wieder aufzureißen, um schließlich »Ich bin wach!«, zu murmeln, doch dann packte diese, ja beinah krankhafte, Müdigkeit auch ihre Flügel. »Nur einen Moment die Augen schließen... kann schließlich nichts passieren...« Yriesa achtete sorgfältig, dass ihre Flügel weit ausgebreitet waren, sodass sie voran glitt, und weiterhin in den Lüften gehalten wurde, ohne selbst Anstrengungen wie Flügelschlagen verrichten zu müssen. Es dauerte keine Minute, bis sie schließlich ins Reich der Träume sackte – was ein fataler Fehler war.
Der Wind flaute kurzzeitig ab, und ihr Kopf, und somit auch ihr Körperschwerpunkt, neigten sich der Leere unter ihr zu. Sie begann langsam abzusacken, und mit jedem Zoll Höhe, den sie verlor, legten sich ihre Flügel ein wenig weiter an. Schließlich fiel sie einfach wie ein Stein, mit dem Kopf voran hinab.
Sie öffnete die Augen und der schneidene Fallwind trieb ihr Tränen in die Augen. Yriesa musste sich kurzzeitig ihrer Lage erst einmal bewusst werden, doch als ihr Verstand wieder halbwegs arbeitete, war es bereits zu spät. Sie fiel zu schnell, als dass sie ihre Flügel noch ausbreiten hätte können, der Druck war zu groß.
Dem sicheren Tod gegenüber stehend, fieberte sie nach einer Lösung, doch ihr fiel nichts anderes ein, als zu schreien. »AaaaaaaaahhhhhAAAAAAAAAAHHH!«
Sie startete einen letzten, kläglichen Versuch, irgendetwas zu tun, streckte dann aber ihre Vorderklauen voraus und machte eine merkwürdige Figur, die wohl einem Köpper bei einem Menschen gleichkommen sollte. Körperspannung, sonst ist es ein Aufprall wie auf Stein..., dachte sie und schloss die Augen.
Und mit einer riesigen Wasserfontäne klatschte sie ins Meer.